Das Interview zum Buchtalk mit Thomas Beerle

Ein Gast spricht über sein Leben und das Buch führt wie einen roten Faden durchs Leben und durch das Gespräch. Unser heutiger
Gast, Thomas Beerle, ist Pfarrer, Kurator, Coach,
Organisationsentwickler und noch vieles mehr. Das Buch, welches er mitgebracht hat, heisst «Der Schrei der Wildgänse».

Julia Keller / 03.09.22

Passage aus dem Buch:

«Das ist aber nur ein Teil davon, Jake. Du bist im gleichen Spiel um Anerkennung gefangen. So funktioniert diese Qultur. Tu, was sie wollen, und sie werden dich mit Anerkennung überschütten. Widerstehe ihnen, und sie werden deinen Ruf töten, ob mit oder ohne Fakten… Religiöse Systeme müssen das Anerkennungsspiel spielen, damit sie funktionieren.» «Ist das der Grund, weshalb ich in einem Moment vom Senkrechtstarter zum Geächteten werden konnte?» «Genau», sagte John, «und weshalb du morgen wieder zum Senkrechtstarter werden könntest, wenn du zurückgehen und zugeben würdest, dass du an allem schuld bist. Sie würden deine Rückkehr genauso schnell feiern, wie sie dich hinausgeschmissen haben. Es kommt nur darauf an, dass du das Spiel wieder mitspielst.»

Bist du, Thomas, einer der quasi aus dem Spiel ausgestiegen ist?

Ich bin vor 14 Jahren das erste Mal aus dem System «Kirche» ausgestiegen. Ich hatte zum Glück einen Kirchenobrigkeit, die mich in meinem Denken unterstützt hat, so dass ich die ganze Sache mit dem Glauben, dem Evangelium, anders angehen konnte als üblich. Es hat mir Freude bereitet und es war spannend, einen neuen Weg zu gehen. Ich habe viele Projekte geleitet, und dies tue ich auch heute noch. Mit der Kombination Glaube und Kunst habe ich viele Menschen in der Umgebung erreicht. Wenn es jedoch um das Eingemachte geht und meistens geht es da ums Geld, genauer gesagt, dass genug Geld reinkommt, wird es kompliziert. Und in solchen Momenten taucht immer wieder die Frage auf: Mache ich jetzt das, was andere wollen, oder bin ich auf meinem Herzensweg und mache das, was mir wichtig ist? Das sind Herausforderungen, mit denen ich mich immer wieder mal herumschlage.

Im Buch steht, dass es sehr viel leichter ist aus dem System auszusteigen, als das System innerlich loszuwerden. Das kann ich nur bestätigen. Wir sollten nicht der Anerkennung hinterherrennen, egal ob verbal oder finanziell. Konkret heisst dies für mich, dass wenn ich meinen Weg gehen kann, dann gehe ich den gerne mit den Menschen, die mit mir unterwegs sein möchten. Wenn aber von der Institution, vom System her, ja gar vom politischen System Druck kommt, dann muss ich sagen: «Stop, nein, das möchte ich nicht mehr.» Dann muss ich ein anderes Gefäss suchen, aber glücklicherweise ist das im Moment kein Thema.

Dann verrät das Buch also auch etwas über dich, dein Leben und deine Überzeugungen?

Genau, das Buch bewegt mich immer wieder. Es hat mir auch Freude bereitet, denn es hat mir gezeigt, dass ich auf mich selbst hören darf und dass ich meinen Weg gehen darf, auch wenn er unkonventionell ist. Das Gedankengut im Buch bestätigt auch eine in mir tief verankerte Überzeugung.

Wie bist du überhaupt auf dieses Buch gestossen?

Ein Pfarrkollege hat mir das Buch vor 14 Jahren geschenkt. Er hat es zwar selbst nicht gelesen, aber er hatte das Gefühl, dass mich das Buch ansprechen könnte, und siehe da, es hat mich tatsächlich angesprochen! Er hatte also absolut Recht.

Jetzt zum Inhalt – kannst du uns grob erzählen, worum es in dem Buch «Der Schrei der Wildgänse» geht oder eben nicht geht – denn manchmal hat der Leser eine gewisse Vorstellung oder gar ein Vorurteil?

Das Buch handelt von Gesprächen zwischen Jake und John. Jake ist Pfarrer und John ist ein etwas spezieller Typ. John zeichnet zwei Sachen aus: Zum einen die tiefe Beziehung zu Gott, die ihn befreit und beflügelt und auch fähig macht anderen zu helfen und dann zum anderen, dass er ganz hartnäckig ist und immer wieder kritische/schwierige Fragen stellt. Das hat mich fasziniert. Und John stellt auch Fragen an die Kirche, an die Institution, überhaupt Fragen ans Christsein und das bringt Jake verständlicherweise ziemlich aus dem Konzept, weil er das nicht erwartet hat und auch, weil er vieles nie so richtig hinterfragt hat. Er ist irgendwo in einer Tradition aufgewachsen oder hineingewachsen und merkt dann, was er da macht, ist weit entfernt von dem, was Jesus gelehrt hat. Diese Erkenntnis finde ich sehr spannend. Das Buch beschreibt einen Glaubensweg, aber der führt weg von institutionellen Kirchen, weg von Religion.

Im Buch läuft es beim Protagonisten Jake eine ganze Weile gar nicht gut. Er bemüht sich so und es wird einfach schlimmer und schlimmer. Was sagst du dazu?

Der Mensch muss Prozesse durchgehen und die sind manchmal richtig schwierig, aber solche Prozesse bringen ihn auch weiter, sie sind sogar zielführend, aber oft ist das erst im Nachhinein erkennbar. Nach meiner Erfahrung ist das Leben nach so einem Prozess oft befreiter.

Als Jake wieder einmal auf John trifft, berichtet ihm dieser, dass er sich nicht mehr länger unter der drückenden Schuld, ständig zu versagen, und auch nicht mehr unter den fordernden Verpflichtungen einer selbstproduzierten Gerechtigkeit unterliegt. Und er ist sogar so weit, dass er dies auch nicht mehr anderen überstülpt. Was sagst du dazu, Thomas?

Genau das möchte ich beherzigen. Im Buch freut sich John über den Erfolg von Jake.

Die folgende Weisheit zu diesem Thema gefällt mir besonders gut:

«Man kann eine Raupe nicht in eine Schmetterlingsform pressen und sie zum Fliegen bringen. Sie muss von innen her verwandelt werden.»

Was leider oft passiert und dies überall, also nicht nur in kirchlichen Institutionen, sondern auch in der Politik und Wirtschaft ist, dass ein
System missbraucht wird. John spricht im Buch von einem Scham-Management-System, oft mit den besten Absichten, aber immer mit
den schlimmsten Folgen.

Also spätestens hier bin ich mir sicher, dass ein paar Berufskollegen ein Problem mit diesem Buch haben. Könnte das sein?

Viele meiner Kollegen haben sich ebenfalls weiterentwickelt und sind auf einem ähnlichen Weg unterwegs wie ich. Und dann gibt es natürlich auch Pfarrpersonen, die sehr traditionell geprägt sind und das auch leben und offenkundig Mühe mit diesem Buch haben. Und es gibt die Sorte Mensch, die, sobald was von Amerika kommt oder eine amerikanische Kirche dahinter steht, sofort dagegen ist.

Gehört für dich das weltbekannte Buch «Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott» von William Paul Young in dieselbe Sparte wie «Der Schrei der Wildgänse»?

Ja, das kann man so sehen. Unter anderem, weil Wayne Jacobsen der Lektor von «Die Hütte» ist. Sein Gedankengut ist in den Diskussionen zwischen Jake und John eingeflossen. Darum sind die Bücher tatsächlich gedankenverwandt. Der andere Autor, Dave Coleman war Pfarrer und ist aus dem System Kirche ausgestiegen. Er ist heute freischaffend unterwegs. Wayne Jacobsen ist Journalist und Buchautor.

Siehst du das Buch als Lebenshilfe oder ist es ein Buch, dass die bisherige Lehre in Frage stellt und deshalb eher irritierend ist?

Für mich ist es eine sehr intensive Lebenshilfe. Was mich fasziniert, ist
die Ehrlichkeit, die in dem Buch gelebt wird. John stellt kritische Fragen, mühsame Fragen und Jake lässt sich darauf ein. Das ist für mich der Schlüssel – sich darauf einlassen und dabei ehrlich zu reagieren.

Warum heisst das Buch eigentlich «Der Schrei der Wildgänse»?

Weil Wildgänse oft in Keilformationen fliegen und so miteinander kommunizieren. Sie rufen und es ist nicht immer die gleiche Gans an der Spitze, sondern sie wechseln sich ab. Gänse helfen einander und es ist ganz speziell, denn wenn eine Gans müde ist und nicht mehr weiterfliegen kann, dann gesellt sich eine andere Gans zu der Müden, damit sich diese ausruhen kann und danach nicht alleine weiterfliegen muss. So miteinander unterwegs zu sein, das ist auch für uns Menschen wünschenswert.

Und an dieser Stelle möchte ich eine letzte Passage aus dem Buch zitieren: «Gänse fliegen miteinander in dieser Formation – nicht, weil sie dazu verpflichtet sind, sondern weil dadurch ihre Last leichter wird und sie ihrem Ziel näherkommen.»

Thomas, danke für deine spannenden Ausführungen zum Buch «Der Schrei der Wildgänse» von Wayne Jacobsen/Dave Coleman.

 

Vorschau:
Der nächste Anlass «Ein Gast – ein Buch, der Buchtalk» findet am
Mittwoch, 26.10.2022 um 19 Uhr statt. Zu Gast in der Bibliothek Buchs
ist Petra Näf, Stadträtin, mit dem Buch «Freundschaft» von Wolfgang
Krüger.

The Bird Lady

 

Unsere Gesellschaft ist geprägt von Regeln und somit auch von Verboten und nicht zuletzt gehört zu jeder Qultur auch eine Tradition, welche man aus guten Gründen zu befolgen hat.

Als Kind gehorchen wir erst einmal unseren Eltern, später folgen wir dem Gesetz. So richtig frei, manche nennen es vogelfrei, sind wir Menschen also nicht.

Ich habe mir vor geraumer Zeit vorgenommen, meine Wellensittiche und seit diesem Jahr auch Nymphensittiche zahm zu bekommen und es ist mir ziemlich gut gelungen.

Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich mit meinen Wellen- und Nymphensittichen in die Turnhalle zum Volleyballtraining gegangen sei. Ich hatte im Traum keine Angst, dass die Vögel wegfliegen und ich sie verlieren könnte. Nein, im Gegenteil, ich fand es sehr schön, dass sie so gern bei mir sein wollten. Als die Vögel in der grossen Turnhalle umherflogen, da fühlte ich ein unbändiges Freiheitsgefühl und ich war so glücklich, dies erleben zu können. Doch als die anderen Volleyballteilnehmer eintrudelten und anfingen, Volleyball zu spielen, da begriff ich, dass es für meine Vögel gefährlich werden könnte. Also habe ich sie zu mir gerufen und habe sie nach Hause, in Sicherheit, begleitet und bin anschliessend wieder zurück ins Volleyballtraining gegangen.

Warum erzähle ich euch das? Weil ich meinen Traum als eine Metapher verstehe. Meine Vögel sind meines Erachtens in Sicherheit, solange ich bei Ihnen bin und die Sachlage abchecke, und dann ist es egal, in welchem Raum wir uns gerade befinden, jedenfalls ist das im Traum so. In der Realität sieht das schon anders aus. Dort ist es so, dass Vögel, welche als Haustiere gehalten werden, ihr Revier kennen müssen, um sich wohlzufühlen. Unsicherheiten bei Vögeln entstehen meist, sobald eine unbekannte Person den Raum betritt oder aber ein neues Objekt im Raum steht. Im konkreten Beispiel, also in meinem Traum, war die grösste Gefahr der Ball, der plötzlich in der Turnhalle umhergeschossen wurde. Meine Vögel kennen viele Gefahren nicht, weil sie in einer geschützten Umgebung aufwachsen und leben.

Übrigens konnte ich die letzten Monate mehrfach feststellen, dass das zahme Verhalten meiner Tiere sehr davon abhängt, wer sich im Raum befindet. Bin nur ich bei ihnen, gibt es kein Halten mehr und die Vögel sind schneller bei mir, als ich überhaupt rufen kann. Wenn sie aber grad ein Nickerchen machen, dann lassen sie sich auch nicht von mir stören. Und natürlich respektiere ich es dann, dass sie ihre Ruhe haben wollen. Sobald ich aber mit Besuch den Raum betrete, ist erst einmal «Schüchternheit» angesagt. Je nachdem legt sich die nach einer gewissen Zeit, aber oft ist es so, dass sie nur zu mir oder zu Familienmitgliedern den Kontakt suchen, die sie gut kennen. Auch dieses Verhalten kann man eins zu eins auf den Menschen übertragen. Deshalb finde ich es sehr spannend, meine Vögel zu beobachten und auch meine Träume zu analysieren.

Tiere liegen mir am Herzen, mein Lieblingstier ist allerdings immer noch der Hund. Vögel zu beobachten, sei es bei mir zuhause oder in der Natur, ist inzwischen für mich zur Passion geworden. Ich stelle mir immer wieder mal die Frage, ob sich schon immer so viele Wildvögel bei uns im Garten und auf dem Hausdach aufgehalten haben und ich es einfach nicht wahrgenommen habe. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Wildvögel unsere Vögel zwitschern hören und sich deshalb bei uns aufhalten wollen. Und wenn sich sogar Wildvögel gerne bei uns aufhalten, dann gehe ich davon aus, dass mein Vogelschwarm glücklich ist, auch wenn er in Gefangenschaft lebt.

Marco Rima kann’s immer noch

Marco Rima kann’s immer noch

 

An diesem Abend sah man nicht nur die ganze Familie Rima in Action, sondern auch Freunde und gute Bekannte. Und natürlich befand sich im Publikum auch das eine oder andere bekannte Gesicht. Eine Gemeinsamkeit, ob berühmt, berüchtigt oder eben nicht, die hatten alle: Marco Rima endlich wieder auf der Bühne live zu erleben.

Ich gebe es zu, kurz vor der Aufführung habe ich überlegt, was ich mache, falls ich das Programm nicht gut finde. Schliesslich hatte ich mir vorgenommen, darüber zu schreiben. Schleimen, das liegt mir einfach nicht! Nun, diese Sorge wurde schnell in Luft aufgelöst, denn der Gesang von Marco Rima und seiner Tochter Malea beim Eingangslied zog mich sofort in den Bann.

Mit ganzem Körpereinsatz wurden Anekdoten über das Schlafen oder eben nicht schlafen können, über das Älterwerden und vieles mehr zum Besten gegeben. Wenn dann Marco noch seine Gesichtsakrobatik einsetzte, gab es für die Zuschauer definitiv kein Halten mehr.

Als die Pause angesagt wurde, hatten mein Mann und ich vor lauter Lachen bereits Muskelkater im Gesicht. Mehrfach hörte ich um mich herum Menschen sagen: «Er hat es immer noch drauf!» Und, ganz ehrlich, das finde ich eben auch.

Nach der Pause schaffte es Marco sogar noch eins draufzulegen. Neben der Tatsache, dass er wirklich lustig ist, berührte mich Marco immer wieder mit seiner schönen Gesangstimme. Beim Lied «Ich sehe was, was du nicht siehst», da hat er mich absolut «getoucht». Die Texte in seinen Liedern sind alles, nur nicht belanglos.

Das Lied «Melbourne» erzählt von seiner ersten Begegnung mit seiner heutigen Frau Christina in Australien und gibt Preis, wie glücklich die beiden auch nach 20 Jahren sind.

Am Schluss gab es Standing Ovation und die kurze Rede von Christina war mehr als nur berührend.

Ich habe Marco auf und hinter der Bühne als grossartigen Kabarettisten und Menschen kennengelernt. Wer also noch kein Ticket für die «Ich weiss es nicht» Tournee hat, sollte sich beeilen, denn ich weiss nicht, wie lange es noch Tickets gibt.

Talente entdecken

 

Dieses Foto habe ich vor ein paar Monaten auf einem Profilbild auf Whatsapp entdeckt. Ich war vom ersten Moment an von dieser Aufnahme begeistert. Heinz Bachmann ist weder von Beruf Fotograf noch hat er sich eingehend mit dem Thema Fotografie beschäftigt. Er hat also keine Fachbücher gelesen oder gar einen Fotokurs besucht. Er hat aber definitiv ein gutes Auge für die Fotografie und beim Ergebnis dieses Fotos würde ich sogar von Kunst sprechen, denn die Idee allein ist schon eine Auszeichnung wert.

Und dieses Foto ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Talente, die in uns schlummern. Viele Menschen haben ein oder mehrere Talente. Nicht alle tragen ihr Talent zur Schau. Zum einen, weil sich nicht jedes Talent dafür eignet, zum anderen, weil gewisse Menschen introvertierter sind als andere. Jedenfalls schätze ich es sehr, wenn Menschen ihr Talent mit anderen teilen. Im Fernsehen boomen seit einigen Jahren Talentshows wie zum Beispiel The Voice und das aus gutem Grund. Es ist einfach faszinierend, wenn Menschen ihr Talent ausüben.

Ich habe mich schon öfters gefragt, ob jeder Mensch mit mindestens einem Talent geboren wird oder aber, ob es gilt das Talent eines Menschen zu entdecken. Ausserdem habe ich dann eine gewisse Wehmut gespürt, als mir klar wurde, dass manche Menschen ihr Potential entweder nicht ausschöpfen oder gar nicht erkennen. Dies, weil sie die Möglichkeit nicht haben, etwas auszuprobieren, aus finanziellen Gründen oder aber, weil sie kein Selbstvertrauen haben oder ängstlich sind. Erst indem man Dinge ausprobiert, Neugierde für Neues zeigt, kann man herausfinden, ob man Talent für eine Sache hat oder nicht.

«Verwechsle die Höhe deiner Gage niemals mit der Grösse deines Talents.» Zitat von Marlon Brando, Schauspieler

Somit stellt sich die Frage, was es im Leben wirklich zu erreichen gilt. Ist es Reichtum? Erfolg? Oder geht es vielleicht darum, sein Leben nach seinen Gaben auszurichten und dies am besten so, dass möglichst jeder Tag ein Gewinn ist? Denn wo Freude herrscht, da findet sich auch Einigkeit und Zufriedenheit.

Schliesslich ist dies viel entscheidender für das Wohl des Menschen als Ruhm und Reichtum. Denn Ruhm und Reichtum nähren weder Geist noch Seele. Wenn der Mensch das tut, was er gut kann, dann erfreut er die Herzen anderer und tut sich selbst auch Gutes.

Im Gespräch mit Marco Rima

Marco ist ein Geschichtenerzähler und viele Geschichten schreibt er selbst. Er lässt sich vom Leben, von seinen Mitmenschen und vor allem von alltäglichen Situationen inspirieren. Marco Rima gehört endlich wieder auf die Bühne.

Vor über 40 Jahren hat er seine Berufung gefunden und sich in der Schweiz und in Deutschland einen Namen gemacht. Er ist nicht nur Kabarettist, er ist auch Autor, Schauspieler und Produzent.

«Ich weiss es nicht», das bekommt man von ihm immer wieder mal zu hören.

Ich durfte Marco Rima kürzlich in seinem Zuhause besuchen und ihm ein paar Fragen stellen.

Lieber Marco, was für Erkenntnisse hast du in den letzten zwei Jahren gewonnen?

Dass man in dieser schwierigen Zeit vielen Herzensmenschen begegnet ist. Es beweist, dass es viele Menschen gibt, die zusammenpassen. Das ist auch für die Liebe überlebenswichtig oder für sich selbst. Darum müsste man den Spruch: «Ohne dich könnte ich nicht leben» ändern in «Ich könnte ohne dich leben, aber es wäre schade, wenn ich es müsste.

Wäre die Coronazeit einfacher gewesen, wenn du nicht so bekannt wärst?

Ich weiss es nicht. Am Schluss vom Tag ist man der, der man ist, und vor allem so, wie man ist. Und so bin ich, wer ich bin. Ich war jetzt nicht besonders mutig oder ich hatte auch nicht das Gefühl, ich mache jetzt etwas ganz Bedeutendes.

Verglichen mit anderen warst du schon mutig, denn du hast dich früh und vor allem öffentlich zu Corona geäussert. Und dies in einer Phase, in der man gar nicht wusste, wohin das Ganze führen wird. Warum hast du das gemacht?

Für mich ist das ganz normal. Ich bin so erzogen worden. Ich sage einfach, was ich denke. Da ich in der Öffentlichkeit stehe, müsste ich vielleicht zwei Mal überlegen, was ich sage, aber «Carola» hat uns alle direkt betroffen und auch wenn ich Freunde habe, die mir davon abraten, mich zu politischen Themen zu äussern, weil man da nur verlieren könne, kann ich nicht anders, denn ich bin ein Teil der Gesellschaft und ich trage Verantwortung.

Wie ist dein Verhältnis zu den Medien?

Ich habe ein Verhältnis? Wenn das bloss meine Frau nicht liest…

Jetzt im Ernst, wenn ich einen Fehler mache, ist es sofort eine Schlagzeile wert. Das ist das Gemeine an der Geschichte, aber ich bedaure es trotzdem nicht, denn ich bin um viele Erfahrungen reicher. Bedauerlicherweise gibt es Medien, die mich in eine Ecke gestellt haben, aus der ich nicht mehr rauskomme. Ich wurde als Fussabtreter instrumentalisiert. Und nur eine direkte und klärende Begegnung mit dem Menschen, der mich in diese Ecke gesteckt hat, kann mich wieder rehabilitieren. Es braucht für alles immer zwei. 

Was ist das Geheimnis deines Erfolges?

Geheimnisse verrät man nicht und ich weiss es halt auch da nicht. Sicherlich sind mir auf meinem Weg viele gute Leute begegnet und noch heute begleiten mich wichtige Menschen, die für meinen Beruf und auch für mich privat entscheidend sind. Ich spreche da auch von meinen Eltern, meiner Schwester, überhaupt von der ganzen Familie und von Freunden. Meine Schwester war mein erstes Publikum. Danach waren es die Klassenkameraden und meine Verwandten. Zudem habe ich andere Künstler kennengelernt. Es gibt zahlreiche Menschen in meinem Leben, die mich getragen haben ohne es zu merken.

Dass ich dann erfolgreich wurde, hat nicht nur Angenehmes mit sich gebracht. Klar, dass man davon leben kann und erst recht der Berufung nachgehen konnte, das war und ist ein Geschenk. Doch ein Geschenk, welches man annimmt, bedeutet auch Verantwortung. So wurde ich Unternehmer und damit auch Arbeitgeber eines 12-köpfigen Teams. Bei der Realisierung eines Musicals zum Beispiel sind es bis zu 70 Mitarbeiter. Es geht also nicht nur um mich. Ich glaube, das haben viele nicht begriffen. Darum waren die letzten 24 Monate für die Kulturbranche und somit auch für mein Unternehmen dramatisch und haben mich manchmal schlaflos zurückgelassen. Das einzig Gute aus negativen Erfahrungen ist, dass man daraus lernen kann, aber natürlich nur, wenn man will.

Macho, unterdrückter Ehemann, Hypochonder, verrückter Professor – Marco Rima auf der Bühne – wen sehen die Zuschauer wirklich?

Ich zeige mich immer vollumfänglich. Von der Berufung her wollte ich immer gerne die Leute zum Lachen bringen. Und ich spüre stark, dass ich jetzt ein Programm machen möchte, bei dem sich die Menschen einfach zurücklehnen und lachen können. Meine Zuschauer sollen über das Leben und über meine Unzulänglichkeiten lachen können.

Nach zwei Stunden Unterhaltung mit Marco Rima hoffe ich, dass das Publikum mit einem guten Gefühl nach Hause gehen kann und dass eine schöne Erinnerung an diesen Abend zurückbleibt.

Du hast dich in den vergangenen zwei Jahren auch als Satiriker ausprobiert.

Genau, die Pandemie war diesbezüglich eine Chance, mich in diesem Genre via YouTube einem Publikum zu zeigen. Markus Somm, Chefredaktor Nebelspalter, ist zwei Mal auf mich zugekommen. Beim zweiten Mal habe ich dann meine Zweifel über Bord geworfen und zugesagt und der Rima-Spalter war geboren.

Der Nebelspalter hat mir freie Hand gelassen und es war eine willkommene Aufgabe, die ja auch mit Kreativität zu tun hat, weil ich ja mein 40-jähriges Bühnenjubiläumsprogramm zwei Mal verschoben und beim dritten Mal abgesagt habe. In der Zeit beim Rima-Spalter habe ich mich mit der politischen Lage auseinandergesetzt und darüber nachgedacht, was es bedeutet, sich politisch zu engagieren. Ausserdem habe ich mich gefragt, wie es wohl Alain Berset oder Ueli Maurer geht. Ich möchte nicht wissen, was sie teilweise abbekommen haben. Mit dem Finger auf andere zeigen, das ist einfach. Wir dürfen nicht aufhören miteinander zu reden und einander die Hand zu reichen. Wir leben in einer ganz speziellen, aber auch spannenden Zeit. Ich glaube, dass darum jeder angehalten ist, sich immer wieder zu fragen, wo er steht und was er persönlich einbringen kann.

Was ist dein täglicher Antrieb?

Mein Antrieb war und ist immer, dass ich Menschen unterhalten möchte. Leute zum Lachen bringen, das hat mir immer sehr gefallen. Einerseits habe ich Schwächen damit kompensiert oder aber ich habe mich versteckt – hinter dem Lachen bzw. hinter dem Clown-sein. Anderseits ist man mit einer grossen Klappe sofort im Mittelpunkt und muss damit umgehen können. Das hat auch etwas Herausforderndes, wie vieles im Leben. Von Vorteil ist es, wenn man gut dabei wegkommt.

Ich habe gehört, dass du eine kleine Tournée planst. Was kannst du uns darüber berichten?

Die letzten paar Wochen habe ich mich zurückgezogen und habe in meinem kleinen Büro an meinem neuen Programm gearbeitet.

In diesem Raum kann ich komplett abschalten und bin in einer ganz anderen Welt. Hier kann ich positive Gedanken fassen und mich kreativ austoben. Ich habe beschlossen, dass NO PROBLEM sterben muss. Was ja kein Problem ist, da NO PROBLEM! Jetzt ist Platz für «ICH WEISS ES NICHT…». Denn ich weiss wirklich nicht, wie es im Herbst aussieht. Ich weiss es nicht und du weisst es wahrscheinlich auch nicht. Somit haben wir etwas gemeinsam und davon erzählt das neue Stück. Von alltäglichen Situationen und besonders schön und lustig wird es, wenn das Publikum Gemeinsamkeiten zwischen sich und mir findet. Mit «Carola» ist Schluss, was meine Frau ungemein freut.

Auf der Bühne bin ich, was ich bin, weil ich bin. Jede Bewegung, die wir Menschen machen, hat einen Einfluss. Ob die Menschen meine Comedyshow besuchen, hat einen Einfluss, aber nicht nur auf mich, sondern auf beide Seiten. Das ist der Grund, warum das Publikum und ich an diesem Abend miteinander verbunden sind. Es ist wie eine Liebesgeschichte. Ich werde auch ein Liebeslied singen, meiner Lieblingsstadt Melbourne gewidmet. Schreiben und Komponieren ist immer Handwerk. Ich glaube nicht an Zufall. Es passiert Grossartiges, wenn die Muse dich küsst. Man kann es plötzlich in Worte fassen. Darum nehme ich mir im Moment alle Zeit, weil ich merke, dass es wächst und es stimmig ist, auch wenn ich manchmal total erschöpft bin. Es ist etwas Faszinierendes und diesen Flow und diese Verbindung zur Kreativität erlebe ich seit 20 Jahren.

Wie unterstützt dich deine Frau Christina bei deiner Arbeit?

Christina ist meine Managerin und erledigt alle Büroarbeiten, so dass ich mich nur auf das Kreative konzentrieren kann.

Wenn ich das erste Mal auftrete, ist dies für mich eine komplette Überforderung. Denn es ist alles auswendig gelernt. Ich bin dann so sehr in meiner Blase drin, dass ich abliefere und hoffe, dass es gut kommt. Dann ist die Show irgendwann fertig und meine Frau fragt, wie es gelaufen ist, und dies, obwohl sie im Publikum sass. Sie kriegt einfach nichts mit! Sie hat nur Kopfweh vor lauter Anspannung.

Ich habe meiner Frau verboten jemals wieder in die erste Reihe zu sitzen, denn einmal schaute ich sie ganz zu Beginn der Vorstellung an und sie gähnte schon bei meinem ersten Satz ihr berühmtes Rhinozerosgähnen. Das sieht in ungefähr so aus, als würde sie sich selbst verschlucken. Die Show war in dem Moment für mich, jedenfalls für einen kurzen Augenblick, gelaufen. Ich habe mich dann aber wieder gefangen, schliesslich bin ich Profi.

Ich darf Christina auch nichts vom aktuellen Programm erzählen, weil das wäre, wie wenn ich als Bäcker einen Sanitärinstallateur frage, bei welcher Temperatur ich die Brötchen backen soll.

Marco, hast du vielleicht auch eine melodramatische Seite?

Und wie, ich bin Melodrama pur. Meine Mutter ist mal zum Kinderarzt gerufen worden und da hat der Dr. Havlig gesagt: «Frau Rima, gehen sie einfach nicht auf ihren Mann und ihren Sohn ein, denn so wie die sich benehmen, sind sie eigentlich dauernd am Sterben oder morgen schon tot. Nicht, dass sie nichts haben, aber es ist nicht so dramatisch.»

Ich bin beim Fussball der gewesen, der gefoult worden ist, der sich schmerzverzerrt auf dem Boden gewälzt hat und wenn dann gefragt wurde, wer schiesst den Penalty, dann war ich der Erste, der sich meldete und beim Penaltypunkt stand.

Kannst du gut mit Kritik umgehen?

Ja, wobei ich nicht grad vor Freude juble, vor allem wenn die Kritik aus dem privaten Umfeld kommt. Kritik kommt bei mir immer an, selbst wenn ich im ersten Moment sauer reagiere, dann sogar erst recht.

Ich nehme mir Kritik meist zu Herzen und brauche Zeit, um sie zu verarbeiten. Und ich kann mich entschuldigen, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Das war nicht immer so.

Was geht dir total auf den Keks?

Gemeinheiten. Boshaftigkeit. Ungerechtigkeit.

Kannst du gut NEIN sagen?

Nein. Mein Vater hat mich immer gefragt: Weisst du, was 9 auf Englisch heisst? Dann habe ich geantwortet: Nein.

Ich kann es immer besser. Mein Nein ist dann aber auch ehrlich und keine faule Ausrede.

Du bist ausgebildeter Pädagoge. Was denkst du heute über deinen Erstberuf?

Ich bin nicht sehr glücklich mit unserem Schulsystem, weil es auf Wettkampf ausgerichtet ist. Es hat nur wenig mit Förderung von Talent zu tun. Das Begleiten von Kindern auf ihrem Weg, das ist eine riesige Aufgabe für eine Lehrperson und dafür hat diese mit dem Lehrplan 21 gar keine Zeit und auch keine Ressourcen.

Als ich meinen Erstberuf ausgeübt habe, habe ich diesen Beruf geliebt, aber ich bin diesbezüglich ein Kurzstreckenläufer gewesen und kein Marathonläufer.

Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen in ihrem Beruf Ihre Berufung finden.


Lieber Marco, vielen herzlichen Dank für das offene und unterhaltsame Gespräch. Ich freue mich jetzt schon auf den 10. Juni 2022. Dann sehen wir uns nämlich bei «ICH WEISS ES NICHT…» in Landquart.

 

 

Bis dahin könnt Ihr Marco Rima als Lockvogel bei «Verstehen Sie Spass?» oder als potenziellen Autokäufer erleben.

Und bei Interesse könnt Ihr hier Tickets für die Tournée buchen.