«Verborgen» – das neue Kunstprojekt von ART-NET

 

34 Kunstschaffende präsentieren ihre Werke zum Thema.

Qultur hat mit Fredy Sutter von der Projektgruppe ART-NET gesprochen. Dieser befindet sich im Schlussspurt der Vorbereitungen. Erwartungsvoll und mit viel Vorfreude verrät Fredy im nachstehenden Interview, was uns in der kommenden Zeit bis zur Finissage in Grabs am 4. November 2023 im Werdenberg erwartet.

Lieber Fredy, die Kunstausstellung VERBORGEN steht in den Startlöchern. Wie geht es dir?

Gut, allerdings ist mein Kopf ziemlich voll mit Terminen und Pendenzen. So ein grosses Projekt auf die Beine zu stellen, ist mit viel Arbeit und Herzblut verbunden. Ich bin dankbar für die grossartige Zusammenarbeit im Team ART-NET. Zwar stehe ich hier Rede und Antwort, aber hinter dem Ganzen steckt viel mehr als nur eine Person.

 

Genau, deshalb werfen wir jetzt gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen. Wie seid ihr auf das Thema VERBORGEN gestossen?

Im Miteinander und im Austausch haben wir im Verlauf der vergangenen eineinhalb Jahre immer wieder erlebt, dass wir uns im Team gut ergänzen. Jemand hat einen Impuls gegeben und ein anderer hat es ergänzt. So zu arbeiten, ist eine wunderbare Erfahrung und wertvoll. Bei der Themenfindung wie auch bei sonstigen Aufgaben durfte ich erleben, dass wir uns gemeinsam auf die Suche gemacht haben. Wir haben Themen bewegt, sind drangeblieben und haben immer wieder Lösungen gefunden.

 

Und was sind deine persönlichen Gedanken zum Thema?

Das Verborgene ist nicht auf Anhieb erkennbar – es will erkundet werden. Sich einlassen, erfordert Zeit und Entdeckergeist. Loslassen von Denkmustern und Erfahrungen sind dabei hilfreich.

 

Dieser Text steht auch in der Ausstellungsbroschüre. Ist dieser Text das Ergebnis deiner persönlichen Erfahrungen?

Ja, so ist es. Jeder macht in seinem Leben verschiedene Prozesse durch. Seit zwei Jahren bin ich theoretisch pensioniert. Praktisch bin ich es noch nicht ganz, aber ich nehme mir heute mehr Zeit für Dinge, die mir am Herz liegen. Ich habe festgestellt, dass das Leben, je älter ich werde, umso spannender wird. Vielleicht auch, weil ich mir jetzt gewisse Freiheiten herausnehme, die ich mir früher nicht genommen hätte. Sich auf Neues einzulassen, ist sehr bereichernd, das gilt meiner Meinung nach für alle Lebensbereiche.

Ich sehe da viel Parallelität zum Kindsein. Dieses (Aus-)probieren, entdecken und es erneut versuchen, wenn es nicht gelingt, steht im krassen Gegensatz zur Denkweise von Erwachsenen. Diese überlegen zuerst, ob es sich überhaupt lohnt.

 

«In der Verbitterung schwelt verborgen der Schmerz über unser Versagen.» Das ist von Hans Arndt, Schriftsteller. Was sagst du dazu?

Ich mag generell keine pauschalen Aussagen zur Gesellschaft. Was ich aber aus meinen Erfahrungen für Schlüsse ziehe, ist Folgendes: ich stelle tatsächlich fest, dass es verbitterte Menschen gibt und das gar nicht mal so selten. Verbitterte Menschen machen Aussagen wie: «Es lohnt sich nicht, es gibt keine Hoffnung, es gibt keinen Grund, neue Schritte zu wagen, etwas zu verändern.»

Gerade hier lohnt es sich zum Beispiel ins Verborgene zu schauen. Träume faszinieren mich, weil da Unbewusstes aufblitzt! Es tauchen Gefühle und Erinnerungen auf, die zu einem gehören und die aufgearbeitet werden wollen. Für die Seele ist es heilsam, wenn wir Licht ins Dunkle bringen. Dafür braucht es Mut, denn Schritte in etwas Unbekanntes zu wagen, ist unbequemer als an Altem festzuhalten. Konkret bedeutet es, die Komfortzone zu verlassen.

In der Verbitterung findet sich oft das Thema, dass man unbewusst an einem Schmerz festhalten oder sich damit erklären und rechtfertigen möchte. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ich erlebe glücklicherweise auch das andere. Menschen, die sogar im hohen Alter noch neue Schritte wagen.

Bei meinem Vater beispielsweise habe ich erlebt, wie er mit 70 Jahren zum ersten Mal auf den Boden gekniet ist, um mit seinen Enkeln zu spielen. Ich habe ihn davor nie in dieser Haltung gesehen. Er wirkte danach auf mich viel weicher und gelassener.

 

Was ist jeweils deine Motivation, so ein grosses Projekt zu lancieren?

Allein würde ich so ein Projekt nie ins Leben rufen. Wir haben das Projekt zu dritt mit einer Portion kindlicher Naivität und Gottvertrauen begonnen. Ich sage bewusst kindliche Naivität, weil es wieder ums altbekannte Denkmuster geht. Lohnt sich dies und das?

In der Arbeit von ART-NET erlebe ich immer wieder, dass wir beschenkt werden. Das ist ein wesentlicher Faktor, den ich auch bei unserem ersten Projekt mit der Kunstausstellung Schönheit erlebt habe. Unmögliches wird möglich, wenn man vorwärts geht und es einfach macht. Das ist mein persönlicher Antrieb auch bei dieser Ausstellung. Durchs Machen und Ausprobieren kommen eigene Gaben und Qualitäten zum Vorschein. Ich bin überzeugt, dass es jemanden gibt, der über uns ist, der Vorbildcharakter hat, gerade auch im kreativen Schaffen, und das ist für mich der Schöpfer. Gott.

 

Wie viele Personen sind im OK und wie viele sind bei der Organisation in der Endphase beteiligt?

Wir sind zu fünft. Thomas Beerle, Andreas Inauen, Sepp Köppel, Helen und Fredy Sutter.

In der Endphase sind es ca. noch 10-12 Kunstschaffende, die uns beim Aufstellen der Werke helfen.

 

Empfindest du die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden als kompliziert oder unkompliziert?

Weder noch. Ich empfinde sie als wertvoll. Jede/r ist eine Persönlichkeit.

Kunstschaffende ticken oft anders als Menschen, die in der Wirtschaft tätig sind. Dort geht es um Gewinne, Zeitoptimierung etc. Durch meine Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern werde ich nicht selten angeregt, selbst etwas Neues auszuprobieren oder es aus einem anderen Blickwinkel anzuschauen und dann neu zu bewerten.

Gerade wenn es um Glaubensfragen geht, bin ich der Meinung, dass Kunstschaffende unsere Gemeinschaft ungemein bereichern. Sie denken frei und sind nicht fixiert.

 

Hast du uns eine Anekdote?

Ein Künstler hat ein Buntglas-Kirchenfenster eingereicht. Mein erster Gedanke war, dass wir doch kein Fenster, das bereits montiert ist, an einem anderen Ort ausstellen können. Ich war skeptisch, doch es liess mich nicht los. Gemeinsam haben wir dann eine Lösung gefunden, in dem wir es abfotografiert und auf ein Plexiglas haben drucken lassen.

 

Wo wird überall ausgestellt? Nenne uns ein paar wichtige Eckpunkte und Eckdaten:

In Sevelen der Hauptstrasse entlang und beim Bühlriet/Betagtenheim.

In Buchs beim Bahnhofplatz, Rathauspärkli und dem Werdenbergersee entlang.

In Grabs zwischen der reformierten Kirche und dem katholischen Begegnungszentrum.

 

Es werden auch vier Kunstspaziergänge, kombiniert mit Apéros und zwei Workshops, stattfinden. Alle Informationen befinden sich auf den Broschüren und auf https://art-net.online/

 

Geborgen bedeutet sicher und gut aufgehoben sein. Verborgen ist, wie du bereits gesagt hast, nicht sofort erkennbar, aber doch da – existent. Wohin zieht es dich mehr?

Zur Geborgenheit im Verborgenen! Ich kann mich erinnern, dass ich schon als Kind eine tiefe Sehnsucht nach einem Ur-Zuhause verspürt habe. In der persönlichen Auseinandersetzung mit Verborgenem, unter anderem in der Natur, habe ich zu einer lebendigen Beziehung zu Gott gefunden.

Inzwischen bin ich überzeugt, dass mutige Schritte ins Unbekannte letztlich zu mehr Leben und Erkenntnis führen als das Verweilen im Bekannten und vermeintlich Sicheren.

 

Lieber Fredy, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen allen Beteiligten wie Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung VERBORGEN viel Freude beim Entdecken, Erleben und Erfahren.

 

j

Das Interview zum Buchtalk mit Doris Büchel

 

Die Bücher «Game Time» mit und über Patrick Fischer, Chefcoach der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft (2021) und «Grenzgängerin» mit und über Evelyne Binsack, Schweizer Extrembergsteigerin und Abenteurerin (2017) sind bei Wörterseh erschienen und hielten sich während mehreren Wochen auf der Schweizer Sachbuch-Bestsellerliste.

Liebe Doris, deine Geschichten handeln oft von Menschen, die mit Sport oder mit der Natur in Verbindung stehen. Das ist wohl kein Zufall, denn dir ist Sport auch wichtig, oder?
Stimmt. Ich habe mit 22 Jahren ein kleines Unternehmen, ein Aerobic Studio namens Absolutely Fitness, gegründet. Damals war es ein richtiger Boom. Auch wenn es schon lange her ist, werde ich immer wieder mal darauf angesprochen. Dann staunen die Menschen, wenn sie erfahren, dass heute das Schreiben mein Beruf ist. Umgekehrt staunen die, die mich nur vom Schreiben her kennen, wenn sie erfahren, dass ich einmal eine «Aerobicmaus» war. Es sind zwei Welten.

Zwei Welten, die einen gemeinsamen Nenner haben – nämlich zu bewegen. Seit geraumer Zeit bist du Autorin für Biografien und Briefe. Du schreibst Briefe für Menschen in ihrem allerletzten Lebensabschnitt. Wie beschäftigt bist du, sprich wie viele Anfragen erreichen dich, sagen wir mal monatlich?
Als Biografin buchen mich Menschen, die ihre Lebensgeschichte oder Auszüge daraus aufschreiben möchten. Wenn jemand bei der Geburt anfangen möchte, dann bin ich schnell mal ein Jahr beschäftigt. Aktuell arbeite ich an drei Biografien parallel.

Anders verhält es sich bei Briefen für Menschen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Dort arbeite ich mit dem Hospiz Werdenberg zusammen. Konkret bedeutet dies, dass nicht die Patienten mich buchen, sondern dass die Anfragen seitens der Ärzte oder Pflegenden kommen. Es sind vielleicht zwei, drei Briefe im Monat.

Ist so ein Brief schreiben nicht eine sehr emotional-schwierige Arbeit?
Wie soll ich sagen – diese Antwort könnte den Abend füllen. Ich versuche es in Kürze: Die Patientinnen und Patienten, die ich besuche, befinden sich in einer sehr schwierigen Situation. Sie müssen sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen. Das heisst, wir tauchen ziemlich schnell ziemlich tief ein. Das kann schon emotional sein, das ist so, ja.

Zur Biografiearbeit im Allgemeinen kann ich nur sagen, dass von den Protagonisten fast immer zuerst dieselbe Reaktion kommt: Ja, aber weisst du – wer bin ich denn? So wichtig bin ich doch nicht, dass ich meine Geschichte erzählen müsste.

Daraufhin erwidere ich, sie sollen sich vorstellen, sie hätten die Lebensgeschichte ihrer Grossmutter oder ihres Urgrossvaters in schriftlicher Form. Wohlgemerkt, nicht nur Eckdaten wie dort geboren, Schule und Lehre dort absolviert, sondern auch, warum sie sich damals so und so entschieden haben und wie sie sich in dieser und jener Situation gefühlt haben.

Wenn ich wählen könnte – ich hätte das wahnsinnig gerne. Man macht es nicht nur für sich selbst, sondern auch für diejenigen, die zurückbleiben. Das ist von unschätzbarem Wert.

Vom 15.9. bis 17.9.23 findet in Bad Ragaz die Rahmenhandlung, ein Literaturfestival und Stadtparcours in Bad Ragaz statt. Du bist da auch mit von der Partie.
Es ist ein Literaturfestival in einem speziellen Rahmen. Die Zuhörer:innen werden in Gruppen aufgeteilt und von Autor zu Autorin geführt und überall bleiben sie rund 20 Minuten. Man bekommt also Lese-Häppchen serviert. Ich selbst lese am Samstagabend (Parcours 1). Es sind auch bekannte Namen wie Bänz Friedli, Claudia Schumacher, Lea Catrina und Christine Brand vor Ort.

Du hast das Buch «Fleisch und Blut» von Susanna Schwager ausgewählt. Wann hast du das Buch entdeckt beziehungsweise gelesen?
Das war im Jahre 2017. Büne Huber von Patent Ochsner gestaltete die Ausgabe von Edition Onepage. Ich fragte ihn, wen er für die nächste Ausgabe auswählen würde, wenn er entscheiden könnte.

Er antwortete mit grosser Begeisterung «Susanna Schwager». Ich kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wenn Büne Huber mit so einer Überzeugung jemanden nennt, dann sollte man diesem Tipp schon nachgehen und das habe ich getan.

Ich habe mir also das Buch «Fleisch und Blut» besorgt und es hat mir den Ärmel reingezogen. Es hat mich regelrecht aus den Socken gehauen! Die Art und Weise wie Susanna Schwager schreibt, das hat bei mir etwas ausgelöst. Ein Stückweit ist sie dafür mitverantwortlich, dass ich heute biografisch, sprich in der ICH-Form schreibe.

Wie wichtig ist für dich der Titel und das Cover eines Buches?
Ich habe es mit den Büchern wie mit dem Wein. Entweder ich kaufe sie auf Empfehlung, oder ich lasse mich tatsächlich vom Visuellen (Cover, Titel oder Etikette) verführen.

Bist du jeweils neugierig auf den Schriftsteller/-in? Was kannst du uns über die Autorin erzählen?
Nachdem mir Susanna Schwager für Onepage empfohlen wurde, nahm ich mit ihr Kontakt auf, und tatsächlich konnten wir zusammen mit Anna Sommer (Illustratorin) eine schöne Ausgabe kreieren. Wir organisierten dann auch eine Vernissage im fabriggli.

Dabei lernte ich sie als starke und spannende Frau kennen. Sie war lange Zeit Lektorin bei Diogenes und wurde später als Autorin mehrfach für ihr literarisches Schaffen ausgezeichnet.

Doris, liest du uns bitte eine Passage aus dem Buch vor und gibst uns deine Gedanken dazu preis?
Im Buch Fleisch und Blut geht es um den «währschaften» und stolzen Metzger Hans Meister und seine Lebensgeschichte. Er ist 1913 geboren und ist der Grossvater von Susanna Schwager. Wie viele in seiner Generation, hat Hans ein wirklich hartes Leben gelebt. Als die Enkelin Susanna ihren Grossvater interviewt, ist er 92 Jahre alt.

Hans Meister starb im Jahre 2005. Im Übrigen kann ich mir gut vorstellen, dass er auch so einer war der dachte, was soll ich da bloss erzählen und sich eben gar nicht so wichtig nahm. Durch die Lektüre von Susanna habe ich erkannt, dass man nicht zwingend Geschichten erfinden muss, weil das Leben selbst Geschichten schreibt.

Hans Meister erzählt seiner Enkelin – aus dem Buch «FLEISCH UND BLUT»:

«Wir wurden wenig gelobt. Der Fritz und ich vielleicht noch am ehesten. Das gibt enorm Auftrieb. Ich erinnere mich genau an das Gefühl. Es war selten und kam eher von der Mutter. Es wurde schon säbi Zit propagiert. Die Mutter wusste das, wir kamen aber nicht lange in den Genuss. Dem Vatter lag es nicht. Ich bin sicher, dass der kleine Mensch immer noch der gleiche ist. Er kommt als Nichts auf die Welt, ganz zerbrechlich. Und hat gewisse Anlagen, die muss man fördern. Und gewisse muss man dämmen und formen. Aber dazu braucht man eine klare Vorstellung. Das ist das Erziehen. Das ist eine grosse Aufgabe. Es braucht viel Kraft und Ausdauer. Nachgeben ist bequemer. Viele Eltern sind jetzt zu faul zum Erziehen, gäll. Und Kinder sind verletzbar, man kann sie so verletzen, die vergessen das ein Leben lang nicht. Das sage ich jetzt, als alter Mann. Ich habe den Vatter später immer verteidigt vor dem Fritz. Der Fritz hat oft gehadert wegen unserer Kindheit. Aber ich glaube, im Grunde genommen war der Vatter ein guter Mensch. Er konnte es nicht zeigen, gäll. Wir konnten ihn wenig geniessen. Wenig. Die Mutter ja auch nicht. Wir konnten das Schöne sehr wenig kosten. Das macht mich traurig, siehst du?»

Übrigens: Wenn die Emotionen bei Hans hochkamen, ist die Schrift im Buch kursiv gestellt.

Soweit möglich hat die Autorin Hans‘ Erzählungen wörtlich wiedergegeben und das Berndeutsche akribisch in eine schreibbare Sprache übertragen. Diese ICH-Form, die eingestreuten Mundart-Ausdrücke, dieses Knorrige in der Sprache – all dies hat mir Hans Meister sehr nahegebracht und mich berührt.

Das ist der Grund, warum ich diese Bücher für den Buchtalk ausgewählt habe.

Im Buch geht es auch um die Liebe zu Hunden. Magst du vielleicht auch Hunde?
Ich bin auch ein Hundenarr, ja.

Im Buch steht, dass der Hund dem Hans sein Leben gerettet hat, denn die Mutter starb früh und wie wir eben gehört haben, kam vom «Vatter» nicht viel Liebe. Auch Hans Meister kam haarscharf am Verdingen vorbei. Der Hund konnte ihm diese fehlende Liebe geben und das spürt man sofort, wenn er von diesem Tier, dem Willi, spricht. Das ist sehr berührend.

Wie verankert bist du mit der Region?
Ich bin immer noch stark verwurzelt. Ist ja auch keine grosse Distanz zwischen Buchs und Triesenberg. Ich habe auch meinen Dialekt beibehalten. Meine Eltern leben hier und ich habe fünf Geschwister. Wenn man nicht mit mir in die Schule gegangen ist, dann mit einem meiner Geschwister oder aber man kennt den Vater oder die Mutter. Ich war auch nie weg, ausser am Reisen, das schon.

Du hast auch das Buch «die Frau des Metzgers» mitgenommen.
Genau. Möchte man beide Bücher lesen, dann würde ich mit Fleisch und Blut anfangen. Beim zweiten Buch «Die Frau des Metzgers» geht es um Hildi, die verstorbene Frau von Hans Meister. Leider war diese, zum Zeitpunkt als Susanna die Biografie ihrer Grossmutter schrieb, bereits gestorben. Deshalb hat sie ihren Grossvater über seine Frau befragt und auch andere Familienangehörige interviewt.

Als ich das Buch damals in den Händen hielt und begriff, dass nicht Hildi ihre Geschichte erzählt hatte, war ich zuerst ein wenig enttäuscht. Es lohnt sich aber definitiv beide Bücher zu lesen.

Im Buch wird Hildi als die Schweigende bezeichnet. Was sagst du dazu?
Hildi war kein Huscheli. Sie war nicht laut, aber sie konnte sich durchsetzen und hat die Kinder, als Hans im Krieg war, allein grossgezogen.

Die Familie lebte im Solothurnischen, aber egal ob hier oder dort, dieses Schweigen von dem gesprochen wird, war häufig auch eine Art Schutz.

Diese beiden Bücher haben meinen Horizont erweitert. Ich habe dadurch ein besseres Verständnis für diese Generation bekommen. Für mich stehen Hildi und Hans stellvertretend für viele Lebensgeschichten von Menschen jener Generation.

Und ich bin immer wieder überrascht, wie die Welt sich in einer relativ kurzen Zeit so stark verändern konnte.

Liebe Doris, vielen Dank, dass du uns zwei Biografien von Susanna Schwager vorgestellt hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und Freude beim Schreiben.

Meine Begegnung mit einer Eidechse

Kürzlich ist mir eine wunderschöne Eidechse begegnet. Majestätisch stand sie auf allen Vieren auf der Schwelle unserer Balkontür und sah mich mit ihren grossen Augen an. Ich hatte sie davor schon zwei Mal auf der Terrasse vorbeiflitzen gesehen und mich an ihr erfreut. Dies aber erst einmal nur von weitem. Jetzt sah ich sie aus nächster Nähe und ihr aufgeweckter Anblick ermunterte mich dazu, sie zu berühren und tatsächlich – ich konnte die Eidechse nicht nur berühren, sie liess sich sogar streicheln, ohne dass sie zurückwich oder die Flucht ergriff. Was für ein Erlebnis – was für eine interessante Begegnung!
 
JULIA KELLER /18.08.23

Seitdem habe ich mir Gedanken zum Thema «die Eidechse als Krafttier» und zum Thema «Begegnungen» gemacht. Die Begegnung mit der Eidechse hat mich auf eine spezielle Weise bestärkt. Denn ein Fluchttier, das normalerweise blitzschnell und wendig ist, bleibt vor mir stehen, schaut mich interessiert an und verharrt auch noch in derselben Position, als sich meine Hand in ihre Richtung bewegt. Ich habe mich nachträglich gefragt, was die Eidechse mir mit ihrer Haltung sagen wollte. Ich glaube inzwischen, dass dieses Tier für mich eine Botschaft hatte. Ihre Botschaft: «Ich bleibe hier und gehe nicht weg. Du bist nicht allein, ich bin bei dir.»

Später habe ich im Internet gegoogelt und ein paar interessante Dinge über die Eidechse als Krafttier erfahren. Unter anderem steht, dass die Eidechse zum Träumen einlädt. Sie hilft Visionen zu verwirklichen und bietet Regenerationskraft. Dies zu lesen, hat mir gefallen.

Es steht auch noch geschrieben, dass wenn die Eidechse als Schutzgeist in dein Leben kommt, sie die Kraft des Feuers mitbringt und dich durch deine Traumwelt führt. Und wenn die Eidechse als Helfertier in dein Leben tritt, kannst auch du von dieser Eidechsen-Medizin profitieren. Nutze deine geschärften Sinne und achte auf die Botschaft deiner Träume.

Die Eidechsen-Medizin ist besonders hilfreich, wenn du

  • verlernt hast zu träumen und dir Vorstellungen und Visionen für deine Zukunft fehlen. Die Eidechse hilft dir, wieder Zugang zu deiner Traumwelt zu bekommen.
  • prüfen möchtest, inwieweit du deine innersten Wünsche umzusetzen in der Lage bist.
  • nach einer Zeit, in der du körperlich oder seelisch stark belastet wurdest, wieder Kräfte sammeln und regenerieren willst.

Die Eidechse schafft die Wirklichkeit aus ihren Träumen heraus. Erscheint dir die Eidechse als Krafttier, ist es für dich an der Zeit, deine Träume als Werkzeug zur Schaffung deiner Realität zu nutzen. Die Eidechse hilft dir, deine Traumwelt kritisch zu beleuchten, zu deuten und zu hinterfragen. Was verfolgt dich? Wie weit lebst du deine Träume? Hast Du genügend Schöpfergeist, um sie zu verwirklichen? Weisen deine Träume ein wiederkehrendes Muster auf? Zeigen sie dir Ängste und Hoffnungen auf? Nimm dir mit der Eidechse die Zeit, vermehrt auf deine Träume zu achten, ihre Symbolik zu deuten, um aus ihnen Schlüsse für dein Wachleben zu ziehen. Ein Traumtagebuch könnte dir dabei helfen.

Die Eidechse häutet sich regelmäßig. Zudem verfügt sie über eine außergewöhnliche Gabe, um ihre Feinde abzulenken. Sie wirft hierzu ihren Schwanz ab, opfert zeitweise dieses Körperteil dem Feind, um sich in Sicherheit bringen zu können. So bringt dir die Eidechse die Kraft der Regeneration und Erneuerung. Sie hilft dir in schwierigen Zeiten bei physischen und psychischen Heilungsprozessen.

Schillernd bunt oder gut getarnt,

passe ich mich an die unterschiedlichsten Lebensräume an.

Schenke dir die Kraft der Sonne, bringe Licht und Leben –

für viele bedeutet mein Erscheinen großen Segen.

Das Reich der Träume erschließe ich Dir,

lass’ dich erkennen, was sonst verborgen ist.

Bin eine alte Seele, blicke weit zurück

und schenke dir viel Glück.

Dieses Gedicht ist von Anke Junginger

Wir alle begegnen jeden Tag Menschen und Tieren. Manche Begegnungen sind schön, manche weniger.

Zum Beispiel die heutige Begegnung mit der mir unbekannten Frau in der Migros, die sich gefreut hat, als ich sie freundlich gegrüsst habe und ihr zulächelte. Sie hat mir mit einem strahlenden Lächeln bestätigt, dass es sich lohnt, Freundlichkeiten auszutauschen. Hingegen hat mir die Begegnung mit einer mir flüchtig bekannten Frau aus dem Dorf, die ich ebenfalls beim Einkaufen getroffen und gegrüsst habe und bei der kein Gruss zurückkam, nachdenklich gestimmt. Sofort habe ich mich gefragt, ob sie mich vielleicht nicht gehört hat oder ob sie mich ganz einfach nicht mag? Nun, ich kenne den Grund, warum sie mich nicht gegrüsst hat, nicht, aber ich habe beschlossen, das schön bei ihr zu lassen. Ich bin für meine Taten, Worte und Gesten verantwortlich und nicht für die der anderen.

Danke, liebe Eidechse, dass du mir hilfst über vieles bewusst zu werden. Wenn wir das Unbewusste nicht mehr verdrängen, dann können sogar Träume wahr werden.

Das Interview zum Buchtalk mit Armin Öhri

Am 26. April 2023 war der Schriftsteller Armin Öhri Gast in der Bibliothek Buchs. Aufgewachsen in Ruggell, lebt er heute in Grabs (SG). Bekannt sind vor allem seine historischen Kriminalromane um den Protagonisten Julius Bentheim, einen jungen Tatortzeichner. Öhri erhielt den European Union Prize for Literature, seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. In Spanien und Südamerika avancierten die ersten Bände seiner historischen Berlin-Romane zu Bestsellern. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist Öhri als Lehrer und auch als Literaturveranstalter tätig.

JULIA KELLER /02.05.23

Lieber Armin, du bist Schriftsteller und ich dachte eigentlich, dass du eins deiner Bücher auswählst, stattdessen hast du den Klassiker «Krieg und Frieden» von Leo Tolstoi gewählt. Warum?

Das Format heisst «ein Gast, ein Buch, der Buchtalk». Und weiter habe ich dann im Internet gelesen «der Gast spricht über sein Lieblingsbuch». Ich habe dann gedacht, dass es schon etwas anmassend wäre, wenn ich mit meinem eigenen Buch komme und es dann noch zu meinem Lieblingsbuch erkläre.

Ich habe mehrere Lieblingsschriftsteller wie Wilkie Collins, Robert Louis Stevenson oder Jules Verne. Was alle gemeinsam haben, ist, dass sie im 19. Jahrhundert gelebt haben. Die Literatur des 19. Jahrhunderts hat es mir also besonders angetan. Das Nonplusultra aus diesem vergangenen Jahrhundert ist eben dieser fette Schinken hier. Vom Umfang her ist es wie ein Ziegelstein, und sprachlich ist es ein Meisterwerk, darum habe ich es schlussendlich ausgewählt.

Gefällt dir Tolstoi im Allgemeinen oder geht es dir explizit um die Geschichte «Krieg und Frieden»?

Ich muss vorausschicken, dass Tolstoi grundsätzlich schwierig zum Lesen ist. «Der Tod des Iwan Iljitsch» und «Herr und Knecht», beides kürzere Erzählungen, haben mir sehr gut gefallen. «Anna Karenina», ebenfalls weltbekannt, liest sich um einiges flüssiger als «Krieg und Frieden».

Tolstoi gefällt mir, weil er wirklich sehr gut (be-)schreiben kann. Seine Geschichten ziehen mich in den Bann. Was für mich «Krieg und Frieden» so einzigartig macht, ist die Detailfreudigkeit. Im Buch beschreibt Tolstoi 150 Personen, also Hauptfiguren und noch ganz viele Nebenfiguren. Er nimmt sich die Zeit, diese Nebenfiguren zu entwickeln. Mit ein paar Pinselstrichen verschafft er diesen Figuren einen aussagekräftigen Charakter. Um konkret aufzuzeigen, was ich meine, möchte ich eine Stelle aus dem Buch vorlesen: «Der deutsche Erzieher bemühte sich, alle Speisen, Desserts und Weine zu behalten, um sie detailliert im Brief an die Verwandten in Deutschland beschreiben zu können, und war ziemlich verärgert, weil ihn der Haushofmeister mit der in die Serviette gewickelten Flasche überging. Er blickte mürrisch drein, bemühte sich so zu tun, als ob er diesen Wein gar nicht gewollt hätte, war aber gekränkt, weil niemand verstehen mochte, dass er den Wein ja nicht haben wollte, um seinen Durst zu stillen, nicht aus Gier, sondern aus gewissenhafter Wissbegier.»

Diese kurze Szene sagt viel über den Charakter des Erziehers aus und ich glaube, dass sich alle vorstellen können, was das für ein Mensch ist. Das macht Tolstoi aus! Er nimmt jede Figur ernst. Trotz ihrer Nebenrolle nimmt man diese Figur auf den 1600 Seiten wahr, und das ist für mich schriftstellerische Kunst.

Aktuell ist Russland im Krieg gegen die Ukraine. Ist es nicht heikel, so ein Buch auszuwählen, gerade noch mit diesem Titel?

Ich habe mir natürlich schon Gedanken gemacht. Kann man das in der heutigen Zeit noch als Lieblingsbuch bringen? Solche ähnliche Diskussionen sind in den letzten Monaten auch in der Qulturwelt aufgetreten: Darf zum Beispiel die Opernsängerin Anna Netrebko noch eingeladen werden oder nicht?

Wer das Buch von Tolstoi gelesen hat, weiss, dass Tolstoi sich gegen Krieg ausspricht. Vielfach lese ich in Zusammenfassungen von Krieg und Frieden, es sei unter anderem ein Kriegsroman, aber ich sehe das nicht so. Für mich ist es ein Antikriegsroman.

Wie alt warst du, als du «Krieg und Frieden» gelesen hast?

Meine Oma hat mich zum Lesen animiert. Konkret zum Lesen von hoher Literatur, denn sie gab mir in den 90er-Jahren jeweils regelmässig 10 Franken unter der Bedingung, dass ich einen Reclamband kaufe, das sind die kleinen gelben Bücher. So habe ich wohl alle Klassiker, die es in dieser Verlagsreihe gibt, relativ früh gelesen. Diese Weltliteratur besitze ich heute noch und es sind rund 800 Exemplare. Auf diesem Weg kam ich auch zu den Erzählungen von Tolstoi, und mit 15 Jahren habe ich dann «Krieg und Frieden» gelesen.

Jetzt zum Inhalt: Kannst du uns grob erzählen, worum es im Buch «Krieg und Frieden» von Tolstoi geht? Versuch uns doch dieses Buch zu verkaufen.

Also gut, es darf in keinem Haushalt fehlen, wo ein Tischbein zu kurz ist! (lacht)

Nein, im Ernst, ich empfehle die Ausgabe von Diogenes, weil sie lesbarer ist und in vier Bände aufgeteilt ist.

Der Literaturklassiker «Krieg und Frieden» ist dem Realismus zuzuordnen und deckt ganz viele Sparten ab, denn es geht um verschiedene Familien und es ist zugleich ein Liebesroman. Es wird vom Krieg und von der damaligen Gesellschaft berichtet. Zudem ist es ein soziologischer und historischer Roman. Die Hauptcharaktere sind auf der Suche nach dem Glück im Leben, es dreht sich vor allem darum, wie man innere Ausgewogenheit findet. Das zieht sich durch alle Hauptfiguren im Buch hindurch. Je nach Sinnsuche geht der Protagonist einen anderen Weg. Ein weiteres Merkmal des Buches ist das Dualistische.

Die zwei bekanntesten Verfilmungen sind wohl die Hollywoodausgabe von 1956 mit Audrey Hepburn, Henry Fonda und Mel Ferrer. In den Jahren 1965 bis 1967 entstand die russische Verfilmung, ein 7-stündiger Film. Filmhistorisch auch ganz spannend, denn es war eine Mammutproduktion. Die UdSSR-Armee hat damals Zehntausende von Soldaten gestellt, die dann in den Kostümen die Schlachten nachgestellt haben. Es entstand das Gerücht, dass der Film vom sowjetischen Regisseur Sergei Bondartschuk inflationsbereinigt sage und schreibe 700 Millionen Dollar gekostet hat! Es ist also mit Abstand der teuerste Film, der je gedreht wurde. Die russische Verfilmung gewann dann einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

Kannst du uns auch ein paar Informationen über den Autor preisgeben?

Tolstoi wurde 1828 in eine russische Adelsfamilie hineingeboren. Er war nicht aufs Geld angewiesen. Er ist viel gereist und interessierte sich besonders für Pädagogik. Ohne die heutige Montessori-Didaktik zu kennen, setzte er sich dafür ein, dass Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend behandelt werden. Ihm lag die individuelle Förderung am Herzen.

Um 1869 herum erlitt Tolstoi eine tiefe Sinnkrise, nicht zuletzt, weil ihm die Widersprüche zwischen seinem eigenen Leben im Wohlstand und seinen politischen Überzeugungen unauflösbar erschienen.

Leo Tolstoi war mit Sofja verheiratet und hatte 13 Kinder. Er hat sich im Laufe seines Lebens leider zu einem Tyrannen entwickelt und starb 1910 im Haus des Bahnhofvorstehers Iwan Osolin, umlagert von der Weltpresse, an einer Lungenentzündung.

Was haben Leo Tolstoi und Armin Öhri gemeinsam?

Wie Tolstoi habe auch ich einen Roman, an dem ich seit vielen Jahren arbeite. Mit 16 Jahren begonnen, umfasst das Skript inzwischen über 1000 Seiten. Es handelt sich um einen Römerroman, in dem ich, wie bei «Krieg und Frieden», alles abzudecken versuche, jedenfalls das «typisch Römische», zum Beispiel mit den Themen, wie es auf einem römischen Landgut zu und her geht, und ich beschreibe auch Gladiatorenkämpfe. Die erste Fassung habe ich damals innerhalb von zwei Jahren geschrieben, da war ich noch auf dem Gymnasium.

Das unendliche Überarbeiten, das haben Tolstoi und ich sicherlich gemeinsam.

Und das Interesse für Pädagogik, denn ich bin ja als Lehrer tätig.

Wie viele Bücher hast du geschrieben? Und hast du mit deinen Büchern auch einen Bestseller erreicht?

Veröffentlicht habe ich 11 Bücher, bei einem bin ich Co-Autor.

Manche Bücher wurden in andere Sprachen übersetzt. In Spanien feiert mein Kriminalroman «El Gabinete de los Ocultistas» (Der Bund der Okkultisten) grosse Erfolge, wurde gar als einer der acht besten Krimis des Jahres 2021 gelistet. Die anderen Romane gewinnen im Ausland mehr und mehr auch an Bekanntheitsgrad.

Du hast mir vorab verraten, dass dich «Krieg und Frieden» in deiner Arbeit als Schriftsteller beeinflusst hat.

Ja, und zwar zum Beispiel beim 3. Teil meines Berlin-Krimis «die Dame im Schatten». Die Hauptfiguren sind mitten im Kriegsgeschehen und da drückt schon der Tolstoi in mir durch.

Herzlichen Dank, Armin Öhri, für deine spannenden Ausführungen zu «Krieg und Frieden» und auch den persönlichen Einblick in dein Leben und deine Tätigkeit.

Der nächste Buchtalk findet am 23. August 2023 statt. Doris Büchel wird dann zu Gast sein. Sie nimmt zwei Bücher mit: «Fleisch und Blut» sowie «Die Frau des Metzgers». Beide Bücher sind von Susanna Schwager und sind hier in der Bibliothek Buchs erhältlich.

Das Interview zur Lesung von Kuno Bonts «Störfall»

Fotos: Theres Schlienger
Kuno Bont ist in der Region als freischaffender Filmemacher, Regisseur und Drehbuchautor von Theaterstücken, Filmen und Musicals bekannt. In der Bibliothek Buchs hat er am 25. Januar 2023 sein neues Drehbuch «Störfall», an dem er insgesamt sage und schreibe 7 Jahre gearbeitet hat, einem interessierten Publikum vorgestellt. Es ist ein Nachfolgeprojekt des bereits veröffentlichten Films «Das Deckelbad» (2015).

JULIA KELLER / 27.01.23

Ein Gast, ein Buch, der Buchtalk. Der regional bekannte Filmemacher erzählt aus seinem Drehbuch STÖRFALL. Kuno Bont ist kein Schnellschreiber, wie er uns verrät. Seine Drehbücher beinhalten zu den Dialogen die für ihn wichtige Geräuschkulisse, die dem Drehbuchleser ein Bild vermittelt und auch Emotionen besser transportiert. «Geräusche geben oder nehmen Tempo», so Bont.

Störfall, die Geschichte eines Vaters, dessen schwuler Sohn sich mit HIV ansteckt und später von der Staatsanwaltschaft angeklagt wird, weil er wissentlich andere damit angesteckt haben soll, spielt in den 80er Jahren. Die Geschichte Störfall resultiert aus verschiedenen Beobachtungen Kuno Bonts, die schlussendlich von ihm zu einer Geschichte verwoben wurden. Die Grundlage zum Buch sind verschiedene Begegnungen und schicksalshafte Geschichten.

Der Drehbuchautor erzählt von einem Rheintaler Vater, der mit dem Schicksal hadert, weil er einen schwulen Sohn hat. Von einem Vater und einer Mutter, die sich für ihren schwulen Sohn einsetzen, aber auch von einem Vater, der mit der Frühpensionierung zu kämpfen hat. Einem Vater, der gegen die Bürokratie mit dem sogenannten Paragraphenreiter und den immer länger werdenden Vorschriften kämpft und sich dabei komplett verirrt. Bei Störfall handelt es sich konkret um das Psychogramm eines Vaters. Es erzählt die Geschichte eines Mannes, der mit der ganzen Situation nicht mehr fertig wird. Der Schluss ist fiktional. Kuno Bont erzählt, dass er schlussendlich vor der Alternative stand, entweder einen Mann zu zeigen, der «in sich hinein kämpft» und daran zugrunde geht, oder einen Charakter darzustellen, der wortwörtlich vor Wut und Schmerz platzt. Kuno hat sich für die zweite, für die aufsehenerregendere Variante entschieden. Nicht um Schlagzeilen zu machen, sondern um den Finger draufzuhalten und zu sagen: «Versteht die Menschen besser, schaut, was und warum sie es machen und woher die Provokation kommt.»

Die Herausforderung für Bont ist nicht der eigentliche Film. Die Herausforderung ist eher, was er für einen Film machen will. Er orientiert sich am Leben, welches passiert, und das ist dann Authentizität. Bont: «Ich will einen Film machen, den man sofort versteht, und das kann man nur, wenn er authentisch ist. Die Herausforderung ist aber auch, eine Dramaturgie zu erschaffen, denn ein Film geht in der Regel 1, 5 Stunden und es ist nicht gut, wenn man nach fünf Minuten einschläft! Also muss ich mich vor allem um die Dramaturgie kümmern. Man darf die Elemente nicht unterschätzen, die so eine Geschichte unterstreichen. Was passiert hier? Es gibt leise, sogar stille Momente, aber es gibt auch schnelle Reaktionen, die bringen Tempo ins Geschehen und sind meist laut. Die Erzählart ist auch eine wichtige Herausforderung. Alles andere, wenn’s dann darum geht, den Film zu machen, das war für mich nie ein Problem und ich bin zuversichtlich, dass das so bleibt.»

Auf die Frage, ob der Film in schweizerdeutscher Sprache erscheint, weil das Drehbuch einige Ausdrücke aus der Region beinhaltet, gibt Kuno preis, dass die Authentizität eben hier anfängt, zum Beispiel mit der gewählten Sprache. Bont: «Das gehört zu mir, darum drehe ich meine Filme immer noch hier und nicht in Zürich oder im Wallis.»

Es ist nicht Bonts erstes Filmprojekt. Als ich ihn frage, was heute anders ist, antwortet er: «Gegenüber früher bin ich aus dem, was ich beim ‘Deckelbad’ gelernt habe, noch kritischer geworden. Ein noch genauerer Beobachter, es ist das, was mich schon ein Leben lang begleitet. Leute beobachten, beschreiben, was sie tun und wie sie sind. Ich habe seinerzeit beim W&O jeden Samstag eine Reportagenserie eingeführt. Wir sind bei den Leuten in der Stube gestanden, im Stall oder wir haben sie in der Wiese beim Heuen mit der Kamera begleitet. Ich bin älter geworden und nicht mehr ganz so geschmeidig. Ich kann mich beim Autofahren über einen Schleicher gottvergessen aufregen, was früher nicht der Fall war.»

Als ich Kuno Bont darauf hinweise, dass er scheinbar Wesenszüge des Protagonisten Hans Steiger hat, lacht er und ich glaube zu erkennen, dass ich damit gar nicht so Unrecht habe. Ein gemeinsamer Wesenszug der beiden könnte auch die Sturheit sein.

Im Publikum taucht gegen Schluss die Frage auf, wie Kuno Bont vom Gemeindepräsidenten zum Filmemacher wurde. Diese Frage beantwortet Kuno mit Daumen und Zeigefinger. Damit stellt er klar, dass er in seinem Leben nur so viel Gemeindeammann war. Es handelt sich um eine Zeitspanne von 8 Jahren. Er sagt: «Ich wollte eigentlich Schauspieler werden, doch mein Vater meinte, ich müsse etwas Richtiges lernen. Ich habe dann die Lehrstelle auf der Gemeinde Oberriet absolviert. Ich bin ein anständiger und netter kaufmännischer Angestellter geworden mit einem tollen Abschluss. Später habe ich zum Journalismus gewechselt. Dort zuunterst angefangen als Dorfkorrespondent, der am Sonntag in der Küche Bilder entwickelt und vergrössert hat, bis ich gefragt wurde, ob ich zur Zeitung möchte. So bin ich zum Rheintaler gekommen und ein waschechter Rheintaler geworden. Danach wurde ich als Gemeindeammann gewählt, damals nannte man das noch so.

Während meiner Zeit dann beim W&O als Chefredaktor, begann ich Filme zu drehen. Ich wurde mehr und mehr zu dem, was ich schon immer hatte sein wollen. Als Jugendlicher war es noch Schauspieler, mit den Jahren hat es sich gewandelt. Heute kennen mich die Menschen als Kuno Bont, der Filmemacher.»

Der nächste Gast beim Buchtalk in der Bibliothek Buchs ist Armin Öhri, ein liechtensteinischer Schriftsteller. Er bringt den Klassiker «Krieg und Frieden» von Tolstoi mit. Also bitte Datum vormerken: 26. April 2023, neu ab 20 Uhr, wie immer in der Bibliothek Buchs.

Maturaarbeit von Julia Rusch